Tschüss Chef, ich bin dann mal arbeiten … Anspruch und Wirklichkeit der Zeiterfassung im digitalen Wandel

… vielleicht im Sommer im Schwimmbad(1), im Herbst beim Wandern und im Winter dann in den Bergen beim Skifahren. Denn: Zum Arbeiten brauchen wir schon länger nicht mehr zwingend ein Büro. Die fortschreitende Digitalisierung sowie neue Formen der Arbeit – Stichworte New Work, Agilität – machen mobiles Arbeiten nicht nur möglich, sondern fordern es gleichsam ein: Durch digitale Technik und Assistenzsysteme, die den Menschen stärker unterstützen, wird es immer leichter, Arbeit zu flexibilisieren. Dies schafft gleichzeitig mehr Raum für die Verbindung von Arbeit mit privaten Bedürfnissen. Der Traum von „Ich arbeite wo ich will und wann ich will“ rückt für Mitarbeiter scheinbar näher. Und auch Unternehmen freuen sich: Sie können Raumkosten einsparen – nicht alle Mitarbeiter benötigen täglich einen festen Arbeitsplatz. Zeitflexibles Arbeiten erleichtert zudem eine 24/7-Erreichbarkeit. Vor dem Hintergrund von Agilität versteht sich Leistung als etwas, das erbracht wird, wenn es erforderlich ist. Das ist in der Dienstleistungsgesellschaft vor allem dann der Fall, wenn der Kunde etwas davon hat. Daher brauchen Unternehmen kundenorientierte Arbeitszeiten und bewegen sich immer weiter weg von genau fixierten Arbeitszeitmodellen hin zu möglichst variabler Erreichbarkeit.
Solche Szenarien erwecken den Anschein unendlicher Möglichkeiten für beide Seiten. Doch spiegeln sie die Realität? Soweit wir Arbeitsverhältnisse in Deutschland betrachten, gibt es einen klaren, gesetzlich definierten Rahmen. Dieser gilt insbesondere für die Arbeitszeit. Ein spontanes, der Situation (agil) angepasstes oder gar pragmatisches Handeln steht dem Gesetz teilweise entgegen. Außerdem verhindern arbeitsrechtliche Grundsätze, wie z.B. das Weisungsrecht (Direktionsrecht)(2) des Arbeitgebers, seine „Ur-Macht“ Lage und Dauer der Arbeitszeit zu bestimmen, auf den ersten Blick eine Selbstbestimmung der Mitarbeiter.
Arbeitszeit im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Betrieb
Ein kurzer Blick zurück: Die Diskussion zum Thema „Arbeitszeit“ ist nicht neu und seit jeher ein sensibles Feld(3). Denn: Bei der Arbeitszeit buhlen der Arbeitgeber und der Mitarbeiter um dieselbe Ressource des Mitarbeiters: seine Zeit. Beide wollen von diesem endlichen Wert so viel wie möglich für sich nutzen. Dieser Zielkonflikt wird durch den demografischen Wandel (weniger nachrückende junge Menschen und damit Arbeitnehmer) und durch neue Arbeitsformen stetig intensiviert.
Wollen sich Unternehmen in puncto Arbeitszeit fit für die Digitalisierung machen, gilt es arbeitszeitliche Lösungen zu finden, die sowohl die beiderseitigen – teilweise gegensätzlichen Interessen – berücksichtigen, als auch gesetzeskonform sind.
Schöne neue Arbeitszeit – was geht wirklich?
Wie schaut es tatsächlich aus mit der „schönen, neuen Arbeitszeit“? Was ist wirklich möglich oder wie können unter der oben genannten Prämisse (gesetzeskonform und flexibel) Anforderungen der Digitalisierung erfüllt werden?
Vergleichen wir zunächst die Erfordernisse für eine erfolgreiche Digitalisierung und die aktuellen arbeitsrechtlichen Vorgaben:
Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass die gewünschte Flexibilität durch unsere arbeitsrechtlichen Grundsätze eingeschränkt ist. Hier hilft es zunächst wenig, dass diese Regelungen überwiegend als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden(4) und in der Praxis auch nicht den täglichen Anforderungen entsprechen(5). Trotzdem reden wir von Wunsch und nicht von Wirklichkeit.
Was kann ich als Arbeitgeber und als Mitarbeiter vor dem Hintergrund der Digitalisierung tun, um mich arbeitszeitlich zukunftsfähig aufzustellen?
Mehr Freiraum durch Tarifvertrag
Stand heute ist es so, dass sich eine eher aufgeschlossene Lösung durch vermeintlich mehr Regelwerk finden lässt. Um stärker den individuellen Bedürfnissen in den Unternehmen zu entsprechen – und damit sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeint – können tarifliche und/oder betriebliche Regelungen realisiert werden (Öffnungsklausel). Wenn Unternehmen partizipieren möchten, müssen sie sich allerdings tariflich binden bzw. mit Betriebsräten entsprechende Vereinbarungen treffen. Der Vorteil ist jedoch, dass Branchen und Unternehmen zumindest die Chance haben, sowohl wirtschaftlichen und unternehmerischen Nutzen als auch die Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Denn ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gewährt mehr Freiraum hinsichtlich der zu gestaltenden Ausnahmen, die ja durch das ArbZG möglich sind. Gleichzeitig schaffen tarifliche und betriebliche Vereinbarungen rechtssichere und schnelle Regelungen. Dass Themen wie Arbeiten 4.0., Digitalisierung und New Work bei Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zunehmend an Gewicht gewinnen – und damit zukünftig in Tarifverträgen mehr Einfluss erhalten – lässt sich durch die aktuellen Veröffentlichungen verfolgen.(6) Insofern ist hier durchaus ein Trend erkennbar.(7)
Option 1 / Kollektiv: Tarifverträge und betriebliche Regelungen stärker einbeziehen und ausgestalten.
Erweiterung der Arbeitszeitmodelle durch individuelle Vereinbarungen
Sofern Betriebe nicht tarifgebunden sind und ggf. nicht über einen Betriebsrat verfügen, gibt es eine weitere Alternative: Im Rahmen der erlaubten Arbeitszeiten können betriebliche Arbeitszeit-Modelle um mehr individuelle, einzelvertragliche Formen angereichert werden. Soll heißen: Arbeitgeber und Mitarbeiter verhandeln entsprechend ihren wirtschaftlichen, unternehmerischen und persönlichen Bedürfnissen direkt über Gestaltungsräume. Hier gibt es schon heute viele Möglichkeiten, die genutzt werden und deren Anwendung weiter ausgestaltet werden könnte. Ohne die täglichen Arbeitszeiten zu verlängern, können Unternehmen sich mit vorhandenen arbeitsrechtlichen Bordmitteln beweglicher aufstellen. Vorteil ist der starke bedürfnisorientierte Charakter den diese Einzelregelungen annehmen können, sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen. Der Nachteil liegt im Aufwand, den eine rechtssichere Ausgestaltung jedes Einzelfalls kostet. Außerdem muss die Vielfalt unterschiedlicher einzelvertraglicher Modelle verwaltet werden.
Was lässt sich individuell anpassen? Zur Flexibilisierung der Arbeitszeit könnten z. B. Job-Sharing-Modelle beitragen. Dies ist schon jetzt durch § 13 TzBfG (Teilzeitbefristungsgesetz) möglich. Dabei können Arbeitnehmer die Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen und vor allem miteinander regeln. Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn der Arbeitsplan der Mitarbeiter dem Arbeitgeber nicht rechtzeitig mitgeteilt würde, dann griffe sein Weisungsrecht wieder(8). Job-Sharing existiert bereits seit den 80-er Jahren, trotzdem hat dieses Modell bisher keine starke Praxisbedeutung erlangt. Insbesondere nicht im Führungsbereich, wo viele Unternehmen immer noch von einer starken Präsenz der Führungskräfte ausgehen. Gerade hier könnten sich durch neue technische Rahmenbedingungen innovative und kreative Konstrukte ergeben, die für alle Beteiligten Freiraum und gleichzeitig Verfügbarkeit schaffen.
Ferner könnten Arbeitgeber mit Gleitzeitvereinbarungen auf unternehmerische und private Bedürfnisse sehr variabel eingehen. Die umfassende Vernetzung schafft eine erleichterte und erweiterte Kommunikation. So wird es einfacher, Bereiche zu schaffen, in denen mit Vertrauensarbeitszeit gearbeitet werden kann. Gerade in dieser Konstellation verzichtet der Arbeitgeber auf die Kontrolle und sein Weisungsrecht beschränkt sich nur noch auf den Inhalt des gewünschten Arbeitsergebnisses.(9) Damit wird der Fokus weg von der Arbeitszeit hin zum Arbeitsergebnis gelenkt, so dass ggf. die Qualität der Arbeit steigt.
Mittels technischer Möglichkeiten können Arbeitnehmer zunehmend mobil arbeiten. Damit ist nicht nur das klassische Homeoffice gemeint. Es geht vielmehr um die Loslösung von einem festen Arbeitsplatz. Denkbar sind alle Orte, die spontanes Arbeiten ermöglichen, je nach Anfall und Situation – z.B. im Zug, Hotel oder Café(10). Das Homeoffice könnte somit im Rahmen individueller Vereinbarungen um ein mobiles Office erweitert werden.
Bleibt die Frage, wie es sich mit dem Arbeitsschutz verhält, wenn der Mitarbeiter aus der (sichtbaren) Reichweite ist. Dann hat der Arbeitgeber keine Chance zu erkennen, wie es dem Mitarbeiter geht oder ob dieser sich vielleicht überfordert. Hier greifen die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzes, wonach der Arbeitgeber die erforderlichen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsmaßnahmen zu treffen hat, auf die er tatsächlich Einfluss hat(11). Ein Risiko bleibt: Passiert ein Unfall, steht oftmals in Frage, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt und wie dieser zu bewerten ist.
Option 2 / Einzelvertraglich: Mit individuellen Vereinbarungen Freiräume schaffen.
Neue Arbeitszeiten erfordern neue Haltungen
Trotz arbeitsrechtlicher Beschränkungen, gibt es einige Möglichkeiten für Unternehmen, schon jetzt zeitlich flexibler zu agieren. (Unabhängig davon, dass Deutschland, will es sich für die Digitalisierung erfolgreich aufstellen, sicherlich gesetzliche Änderungen für die Arbeitszeit benötigt.) Was für beide Lösungsansätze gilt, egal ob kollektiv oder einzelvertraglich, ist, dass sie ein Umdenken verlangen. Unternehmen werden in der Praxis nicht umhin kommen, neue Wege zu denken und wesentlich mutiger und kreativer zu sein als bisher. Gemeinsam mit den Mitarbeitern – direkt oder über die Sozialpartner – müssen Lösungen entwickelt werden. So der Tenor des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), das mit Verweis auf den Trend zum mobilen Arbeiten Handlungsempfehlungen erlassen hat(12). Wohlweislich mit dem Wissen der Expertengruppe, dass Änderungsbedarf im Arbeitszeitgesetz besteht und hier noch vieles offen ist, werden Unternehmen stärker gefordert, Spielräume für sich zu schaffen bzw. diese zu nutzen. Die für Unternehmen vielleicht wichtigste Botschaft aus diesen Empfehlungen findet sich im Fazit dieses Papiers,(13) in dem es heißt: „Die Fokusgruppe empfiehlt hierzu den Einsatz betrieblicher Praxislabore, die auch im Rahmen der Initiative ‚Neue Qualität der Arbeit‘ umgesetzt werden können.“
Das ein solches Ausprobieren und Ausgestalten in der Praxis gelingt – sei es tariflich, betrieblich oder individuell – bedingt wiederum, dass die gestaltenden Partner über Kompetenzen verfügen, die dieses Vorhaben unterstützen. Und das sind vor allem Kreativität für die Lösungsentwicklung, Mut für die Umsetzung dieser Lösungen und eine Mediationskompetenz, um hier wirklich im beiderseitigen Interesse und mit einem gemeinsamen Ziel zu agieren. Und ansonsten geht es darum, einfach loszulegen und mit der Gestaltung anzufangen. Viel Spaß dabei.
(1) www.faz.net/aktuell/wirtschaft/daimler-mitarbeiter-koennen-bald-im-schwimmbad-arbeiten-14361724.html
(2) Küttner, Personalhandbuch 2016 452, Rn. 2: Das Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst das Recht, die Arbeitspflicht durch einseitige Weisungen näher auszugestalten (BAG 7.12.200-6AZR 444/99, NZA 01, 780. Das betrifft Zeit, Ort und Inhalt und Art und Weise der zu leistenden Arbeit
(3) http://www.bildungsspiegel.de/news/berufswelt-arbeitsmarkt-europa/787-studie-arbeitszeitwuensche-und-ihre-kurzfristige-realisierung
(4) Zumkeller, BB 2015, Heft 30, S. I, Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025 /1028)
(5) Den starken Wunsch nach einer wirklichkeitsnahen Anpassung und z.B. einer Änderung auf eine wöchentliche Arbeitszeit gibt es schon. Eine Umsetzung entspräche sogar der EU-Arbeitszeitrichtlinie ( EU-Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG und 2003/88 EG), die ausdrücklich vorsieht, dass die täglichen acht Stunden auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden umgestellt werden. So wäre zumindest der Bezugsrahmen etwas weiter gefasst, eine stundenmäßige Beschränkung wäre immer noch vorhanden: http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_Arbeitszeitgesetz
(6) Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft: Die technologische Zukunftsfähigkeit Deutschland auf dem Prüfstand, Walter-Raymond-Stiftung der BDA, Band 56, 2016, GDA-Kommunikation; PuR, 03/2016, 57ff; PuR 04/2016, 84 ff; PuR 05/2016, 110 ff;
(7) Schröder, Lothar/Urban, Hans-Jürgen, Gute Arbeit, Digitale Arbeitswelt – Trends und Anforderungen, BUND Verlag 2016
(8) Küttner, Personalhandbuch 2016, 402, Rn. 70
(9) Günther/Bogmüller, Arbeitsrecht 4.0, NZA 1015, 1025
(10) Working-Cafe´s
(11) Günther/Bogmüller, Arbeitsrecht 4.0, NZA 1015, 1025
(12) https://www.haufe.de/personal/hr-management/digtale-arbeitwelt-bmas-leitfaden-fuer-mobiles-arbeiten_80_366748.html
(13) http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Pressemitteilungen/2016/bericht-plattform-digitale-arbeitswelt.pdf;jsessionid=BD1E51403BB3422BED9314D604245431?__blob=publicationFile&v=3
